1. Reise: Die (mächtigen) Taarer TAARER

Auswahl

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Am 1. Februar des Jahres "0" der neuen Zeitrechnung, oder auch 0/2152 in der neuen "alten" Benennung, bekam ich endlich die /InfoSpeicher Nachricht vom Auswahlkomitee der /KKK. Zur Abschlussbesprechung sollten sich alle Bewerber in der Hauptverwaltung der /Kooperative in Neuyork einfinden. Es war soweit, ich werde reisen!

Eigentlich hatte ich auch fest damit gerechnet zur Reisegruppe der /KKK zulassen zu werden, obwohl es bessere in diesem Auswahlkurs gab. Ich habe mich da einfach auf meine Erzeugerin - die /KEB - verlassen. Meine gesamte bisherige Ausbildung lief eigentlich darauf hinaus. Es hatten sich zwar noch drei andere Personen um die ausgeschriebene Stelle beworben und eigentlich hätten sie auch die besseren Voraussetzungen gehabt. Das Ergebnis aber hatte wahrscheinlich schon von Anfang an fest gestanden. Nur weil die Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle unseres :Verwaltungsrates: an bestimmte Vorgaben gebunden sind, ließen sie die vorgeschriebenen vier Bewerber gegeneinander antreten.

Einer der drei anderen Mitbewerber - Will Bonner /KAF /D1 - ist in fast allen Prüfungsfächern um einige Klassen höher bewertet worden, als alle anderen Kandidaten. Allerdings ist er persönlich ein so extremer Alleiner, das es mir später davor graute, ihm noch einmal zu begegnen. Ihn als Vertreter der MENSCHEN in die Galaxis zu schicken, konnte eigentlich keiner wirklich gewollt haben. Er ist absolut dominant, kalt, wenn es um Probleme der anderen Bewerber ging. Jede unserer Schwächen hatte er in den letzten 14 Tagen hemmungslos für sich ausgenutzt. Alles, was ich ihm in einer schwachen Stunde erzählt hatte, erschien in einem der Zwischenberichte des Auswahlkomitees. Aber er sah gut aus. In dieser Hinsicht war er für mich sehr anziehend gewesen. Das er im Tank der /KAF /Kooperative für die Ausbildung von Führungskräfte gezeugt worden ist, hätte mich allerdings warnen sollen.

Dann gab es da noch Mel Gannet /KIS /D1. Ich brauchte wirklich sieben Tage, bis ich merkte, was für eine seltsame Person ich da vor mir hatte. Er ist in einem besonderen Tank der /KIS /Kooperative für Innere Sicherheit gezeugt worden. Neugier und Verschlagenheit sind bei ihm sehr stark entwickelt gewesen. Er wird wohl die Kariere eines Superaufklärers gemacht haben. Ich kam hinter sein Geheimnis, als ich mich - als heimlicher Beobachter - in den /InfoSpeicher des Ausbildungszentrums der /KKK in Neuyork einschlich, um mehr über Mora Deegon /KRM /D1 zu erfahren. Sie war die einzige Frau in unserer kleinen Gruppe. Ich hatte bemerkt, das die beiden sich häufiger getroffen hatten und wollte einfach nur wissen, was sie so zusammen trieben. Ich fühlte mich zu Mora irgendwie hingezogen, obwohl - oder besser - weil sie eine Frau war. So bekam ich heraus, das Mel - nur zu dem einen Zweck - Mora auszuspionieren, mit ihr ein Verhältnis angefangen hatte. In ihrer Abwesenheit durchwühlte er dann ihre Unterkunft, die sie - anders als wir Männer - im Wohnpark für Gäste bezogen hatte. Moras /InfoSpeicher und sogar ihre Farbtöpfe sind vor ihm natürlich auch nicht sicher gewesen.

Da Mora von der /KRM /Kooperative für den Rückbau von Mineralminen gezeugt war, die ihren Sitz irgendwo in Südamerika hatte, besaß sie als Einzige unserer kleinen Gruppe, für die Zeit des Auswahlverfahrens, eine Wohnung in diesem streng kontrollierten Bereich der Hauptstadt. Sie stand somit natürlich unter ständiger Aufsicht der /KIS. Wir drei Männer dagegen lebten schon seit einem haben Jahr hier. Nach unserer Ausbildung hatten wir eigene Wohnungen, in den nicht gebundenen Wohnparks der Stadt bezogen und konnten uns deshalb etwas freier bewegen.

Diese drei Personen stufte ich um einige Bildungsklasse höher ein als mich selbst. Zumindest tat ich das am Anfang unseres Bewerbungskurses. Nach dem ich sie auch privat etwas besser kennen gelernt hatte, normalisierte sich meine Einstellung zu ihnen. Aber was noch viel wichtiger ist, ich erkannte meine eigenen Fähigkeiten!

Ich besaß nicht den Ehrgeiz eines Will Bonner /KAF /D1 und nicht die Verschlagenheit und Rücksichtslosigkeit eines Mel Gannet /KIS /D1. Die zielgerichtete Intelligenz einer Mora Deegon /KRM /D1 ist mir auch fremd. Aber ich bin unvoreingenommen neugierig und deshalb haben sie mich wohl auch ausgewählt.

Ich hatte  bei der Abschlussbesprechung aber auch den Eindruck, das sich meine drei Mitbewerber irgendwie erleichtert gaben und heute weiß ich auch warum. Da man sie für andere Aufgaben gezeugt hatte, wäre eine galaktische Reise von mehreren erdeJahren, innerhalb ihrer Lebensplanung eher ein Umweg gewesen. Ich allein besaß in den Augen der /KKK die Voraussetzungen, dass Leben eines Vagabunden zu führen, Reisen als Ziel meiner Träume anzusehen, Unstetigkeit als Profession auszuleben - und sie hatten recht, natürlich - ich bin ja in einem Tank der /KFZ /Kooperative für Zeugungen mit diesen Vorgaben geplant worden.

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Meine kleine Wohnung, die ich nach meinem kosmischen Semester, in Neuyork bezogen hatte, musste ich natürlich aufgeben. Anfang März 0/2152 wechselte ich in das Albani Ausbildungszentrum der /KKK /Kooperative für Kosmische Kontakte. Es lag etwa 200 Km nördlich von Neuyork, im menschenleeren Hinterland des Hauptverwaltungszentrums der MENSCHEN. Die gesamte Anlage bestand aus einem uralten Zentralgebäude, das von modernen Wohneinheiten umgeben war und mitten in einem riesigen Park mit uralten Bäumen stand. Ich zählte über zwanzig kleine Häuser, flache rechteckige Schachteln mit einer großen Fensterfläche an der Schmalseite, die nach Süden ausgerichtet war. Alle erschienen sie mir bewohnt.

Ein Gravopeiler der /KKK hatte mich vor diesem alten Zentralgebäude abgesetzt. Der Ausbildungsleiter persönlich begrüßte mich noch auf dem Landefeld und stellte sich mir als Gus Niegen /KKK /D1 vor.

„Hallo Bo, ich bin der Ausbilder und Leiter des Projektes "Reisende für die Erde". Ich werde versuchte, euch, also dich und die zehn anderen Personen, die übrigens schon seit zwei Tagen auf dich warten, in den nächsten sechs erdeMonaten, in die Rolle der Reisenden einzuführen“

„Ich hatte den heutigen Tag als Ankunftstermin angegeben bekommen. Es tut mir leid, das ihr auf mich warten musstet“ Ich war fast schon etwas gekrängt. Das andere auf mich warteten, erschien mir damals als ein unangenehmer Gedanke.

„Du bist nicht zu spät, die anderen sind zu früh. Diese Aufgabe ist für sie so spannend, das sie es nicht erwarten konnten“

Auch dieser Hinweis empfand ich als Kritik an meinem eigenen Verhalten. Irgendwie kam ich mit Gus nicht klar. Seine Andeutungen, die ich als verhaltene Kritik empfand, schienen mir unbegründet. Ich hielt mich doch nur an die Regeln.

Kühl antwortete ich „Na dann werden sie ja jetzt endlich wissend“

Sein Blick traf mich wie ein Schlag und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich nicht lieber den Mund hätte halten sollen. Er war ein großer, schlanker Mann. Mit seinen zwei Metern überragte er mich um fast einen halben Kopf und er besaß keine Haare mehr, das viel mir besonders an ihm auf. Nicht nur auf dem Kopf. Ich konnte in seinem ganzen Gesicht kein einziges Haar entdecken. Ich schätzte sein Alter auf über neunzig erdeJahre.

Er brachte mich zu einem der kleinen Wohnhäuser und übergab mir hier eine Art Themenübersicht mit Stunden- und Lageplan. Am anderen Morgen erst sollte ich mich gegen 10 Uhr im Zentralgebäude einfinden. Ich betrat meine Wohnung alleine, da er sich noch an der Haustür verabschiedet hatte.

Soweit ich mich erinnern kann, ist dieses Haus ein reiner Zweckbau gewesen und bestand eigentlich nur aus einem großen Raum mit einer abgeteilten Nasszelle. Einen Nahrungsspender fand ich nicht. Wenn ich etwas zu essen haben wollte, musste ich immer ins alte Zentralgebäude. Die Wand gegenüber der Eingangstür bestand aus einer einzigen großen, zweigeteilten Fensterfläche, die den Blick über eine kleine Terrasse, in den noch verschneiten Park frei gab. Außer einer niedrigen Bank, auf der die Betrachtungsfläche mit der Konsole für den /INFOSPEICHER stand, gab es hier nur noch eine Schlafmatte. Andere Möbel befanden sich nicht in dem großen Raum. In seiner Mitte hatte mein Gepäck gestanden, das ich am Morgen vorausgeschickt hatte. Die große Tasche enthielt alle meine privaten Schätze, die sich in 23 Lebensjahren angesammelt hatten. Ich hockte mich an diesem Abend vor der Betrachtungsfläche auf den angenehm weichen Fußboden und schaute kurz in meinem /IS Konto nach neuen Nachrichten, bevor ich die wichtigsten Teile aus meiner Tasche begann aufzustellen.

Ich braute nie lange, um mich an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Es reichte aus, das ich meine Emotionsträger aufstellte. Eine kleine Statue ist mir dabei immer am wichtigsten gewesen. Sie verströmte seit dreizehn erdeJahren ein kaltes Licht, ohne das ich sie an irgendeiner Energiequelle hätte aufladen müssen. Sie sollte eine wichtige Person aus der Alten Menschheit darstellen und erinnerte mich immer an meine Erzieherin Sharei im Himalaja Internat. Natürlich durfte meine kleine Brosche nicht fehlen, die ich zum Abschied von meinem Ausbildungs- Internat auf der Insel Irland bekommen hatte und die mich als Bo Reeves /KEB /D1 auswies. Zwei kleine Stäbe, die ich zu verschiedenen Werkzeugen umgestalten konnte, wollte ich auch immer griffbereit haben. Alle drei Gegenstände fanden ihren Platz neben der /IS Konsole und markierten sozusagen meinen endgültigen Einzug.

In einem Schrank, der die gesamte linke Seite des Raumes bis zur Decke einnahm, hingen verloren einige Kleidungsstücke. Ich fand warme Hosen, Pullover, Unterwäsche, Mäntel und Schuhe - passen für meine Größe. Im März ist es auf der Nordhalbkugel der Erde noch ganz schön kalt gewesen.

Gus hatte mir das Ausbildungsprogramm in meinen /INFOSPEICHER übermittelt. Alle Zeit- und Raumangaben sind natürlich automatisch in meinen Terminplaner übernommen worden. Die Unterlagen, die er mir persönlich gegeben hatte, las ich aber erst am nächsten Morgen beim Frühstück im alten Zentralgebäude durch. Es gab hier nur zwei Themen: die GAON KORMA und die TAARER!

An diesem Morgen wurde mir mein neuer Status erst richtig bewusst. Zum ersten Mal in meinem 23 jährigen Leben trat meine Erzeugerin - die /KEB /Kooperative für Erziehung und Bildung - in den Hintergrund. Ich sollte für die /KKK /Kooperative für Kosmische Kontakte im Auftrag aller MENSCHEN im Universum herumreisen. Wirklich für alle MENSCHEN? Etwa auch für solche extremen Alleiner wie Will Bonner // und ähnliche Erzeugnisse irgendeines Tanks? Ich glaube, damals ist der Grundstein für mein späteres Verhalten gegenüber meinem eigenen Volk gelegt worden. Nie würde ich für Leute arbeiten, die mir zutiefst unsympathisch waren - zumindest nicht bewusst. Denn - wie sich später herausstellte - tat ich es dann doch. Unbewusst zwar oder besser, im Bewusstsein für mich allein zu entscheiden, gereichten alle meine Handlungen doch weitestgehend zum Wohle meines Volkes.

Der Ausbildungskurs von Gus Niegen /KKK /D1 bestand aus insgesamt elf Personen. Sie alle sollten von ihm in die Zivilisation unseres Förderers, den Neu-Humanoiden TAARERN eingeführt werden. Eines seiner Hauptanliegen war es, uns überhaupt verständlich zumachen, was die GAON KORMA eigentlich ist. Der Name setzte sich zusammen aus einer fremden Bezeichnung für unsere Milchstraße und einem Kürzel mit regionalem Bezug als Anhang. Die neue Bezeichnung GAON für unsere Milchstraße sollte wohl in unseren allgemeinen Sprachgebrauch übernommen werden. Auch wir, die wir uns ab Oktober 0/2152 offiziell als Volk der MENSCHEN bezeichnen durften, sollten unsere Heimatgalaxie GAON nennen.

Mir als zukünftigen Reisenden schien es absolut logisch, die kosmischen Bezeichnungen zu gebrauchen. Obwohl keine Lebensform diesen Begriff in ihrem Wort- oder Laut- oder Denkschatz hatte, benutzten sie doch alle eine eigene Umschreibung, die dem Inhalt nach das Gleiche ausdrücken sollte: da woher ich komme.

Die RAPI-Übersetzerkristalle formten daraus den Begriff GAON. Das Kürzel KORMA sollte eine individuelle Note für uns MENSCHEN sein. Eine "Kosmisch Organisation zur Erhebung der Raumzeit mit besonderer Berücksichtigung Menschlicher Angelegenheiten" klang ja auch sehr viel persönlicher. Die Erstellung und Verwaltung von Maßtabellen für die kosmischen Raumzeitströme innerhalb der Galaxie GAON sind ja auch die Hauptaufgaben dieser Organisation. Übrigens hatte jedes der 278 Mitglieder einen solchen individuellen Anhang an die eigene Heimatbezeichnung gehängt.

Ich fragte mich damals immer wieder, wie diese Organisation, die einen rein wissenschaftlichen Zweck hatte, universelle Steuer- und Regelungsfunktionen für eine ganze Galaxie ausüben konnte. Nur weil sie die Zeitbasis für alle Zivilisationen festlegte? Sie existierte auch erst seit 51 Dekaden, eine Dekade zu 1000 dagorJahren, ein dagorJahr sind etwa 1,53 erdeJahre. Die Geschichte der TAARER, dem größten Mitglied, reicht über 180 Dekaden zurück. Man muss auch jemanden finden, der sich freiwillig an intergalaktische Standards hält, sonst nutzt das gesamte Festlegen nichts. Was muss in der Vergangenheit geschehen sei, das sich 278 Völker (und ab Oktober 0/2152, 279 Völker) freiwillig zusammen taten, um sich an kaum begreifbare Zeitmesstabellen zu halten?

Nach meiner Kinder- und Jugendzeit im Himalaja und auf der Insel Irland und meinem pflichtJahr bei der Rückbau Kooperative, hatte ich für zwei erdeJahre ein "kosmisches Semester" auf der Insel Kuba belegt und die Grundkenntnisse über die Geschichte der GAON KORMA mitbekommen. So wusste ich, das die Organisation vor 51 Dekaden von den Humanoiden OROREN gegründet wurde. Es schlossen sich nach und nach alle bekannten Zivilisationen in GAON freiwillig an und die Humanoiden KAILECH sind die Einzigen, die für vier Dekaden wieder ausgeschlossen werden mussten. Es gibt in GAON heute keine bekannte Lebensform, die nicht Mitglied in dieser Organisation ist.

Alle diese Tatsachen ließen mehr Fragen offen, als sie beantworteten. Ich konnte mir damals einfach nicht vorstellen, was eine Humanoide und eine Insektoide Zivilisation an Gemeinsamkeiten haben sollte. Wie kann eine Humanoide Zivilisation zum Beispiel Kannibalismus, der bei Insektoiden Völkern häufiger vorkommt, tolerieren, ohne gleich eine Strafaktion zu veranstalten? Wie hatte ich mir die Fortpflanzung einer Mentaloiden Lebensform vorzustellen? Sind die Seelen unserer Toten ihre Existenzgrundlage?

Da mir die verschiedenen Zivilisationen damals so fremd vor kamen, konnte ich nicht begreifen warum sie sich alle "freiwillig" in die Obhut der GAON KORMA begeben hatten. Sollten sie nicht bereit gewesen sein, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder auszuscheiden? Aber das genau wurde nicht in unseren Internaten geleert. Immer war von einer großen Harmonie unter allen Mitgliedern die Rede. So konnte es eigentlich nicht gewesen sein! Zu unterschiedlich waren die Interessen so vieler Lebensformen.

Meine An gezeugte Neugier steigerte sich jedes Mal ins uferlose. Ich wollte alles wissen. Wie die Organisation funktionierte, was sie zusammenhielt und wer in ihr wirklich das Sagen hatte. Und ich war in der Lage dieser Neugier nachzugehen, denn ich bin als "Reisender für die Erde" ausgewählt worden.

Eine meiner Nachbarn - Maria de Cobeel /KRM /D1 - lernte ich auch persönlich kennen. Im Esszimmer des Zentralgebäudes hatte ich sie nie gesehen. Ich traf Maria erst auf einem meiner Nachmittagsläufe, die ich ab dem zweiten Tag regelmäßig durch den Park des Ausbildungszentrums unternahm. Es ist die einzige Möglichkeit gewesen, sich hier wenigstens etwas sportlich zu betätigen. Sie dachte genau so, nur die /KKK wohl nicht. Auch Maria ist als Reisende ausgesucht worden und sollte ebenfalls die TAARER erkunden. Sie stammte, wie Mora Deegon, aus dem Tank der /KRM und war auch ein D1 Gentyp. Wir freundeten uns ein wenig an und trafen uns dann auch regelmäßig in ihrem Haus. Sie hatte es innen mit farbenprächtigen Folien verkleidet, was auf mich manchmal einen durchaus angenehmen Eindruck machte. Ich konnte mich ja immer wieder in mein Haus zurückziehen, wenn es mir bei Maria zu Bunt wurde.

Einige der von Gus vorgegebenen Themen erarbeiteten wir sogar gemeinsam - ich wusste gar nicht, das ich das konnte. Die öffentlichen Auswertungen und Diskussionen erfolgten aber immer getrennt, von unseren eigenen /IS Konsolen aus. Die anderen Reisenden lernte ich während dieser öffentlichen Diskussionen auch etwas besser kennen. Wir gingen uns aber ansonsten aus dem Weg. Ich hätte mir damals auch nicht vorstellen können, mit einem Kritiker an einem Tisch zu sitzen und etwas Privates auszutauschen. Die anderen dachten wahrscheinlich genau so. Ich habe nie gesehen, das sich irgendwelche Gruppen gebildet hätten. Im Esszimmer des Zentralgebäudes saßen wir immer alleine. Es kam allerdings auch nur sehr selten vor, das mehr als zwei Personen sich zur gleichen Zeit versorgen wollten.

Bei dem Thema "Die Biologie der TAARER" fiel mir bei einer der öffentlichen Diskussionen Albert Shere /KKB /D1 auf. Er vertrat die Ansicht, das die Ähnlichkeit im Aussehen der TAARER auf eine zentrale Genmanipulation hindeutete. Eine Zivilisation dieser Größe, die über 40.000 Planeten besiedelt hätte, müsste ein besonderes Steuer- und Kontrollinstrument entwickelt haben, damit sie nicht an ihrer eigenen Mächtigkeit zugrunde ginge.

Aus allen mir zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen ging hervor, das es bei den TAARERN nie Bürgerkriege oder andere Gründe für eine Abspaltung gegeben hatte. Albert vertrat die Ansicht, das alle Völker, die ihre Existenz von den TAARERN ableiteten, von ihrer Stammzivilisation bewusst ab gespaltet und für bestimmte Aufgaben nachträglich angepasst worden sind. So kümmerten sich die INSORINE und die LORSOTEN ausschließlich um die Beschaffung von Rohstoffen, die sie dann auch nur an die TAARER weiter verkauften. Die SIRINO besaßen als Informationsbeschaffer eine besondere Anpassung. Sie ähnelten in allen Einzelheiten den IROITEN, dem größten und mächtigsten Humanoiden Volk in GAON, sind also als TAARER überhaupt nicht mehr zu erkennen. Oder die MITORAN und die DAMULEN, die als Mediziner für unterschiedliche Rassenstämme optimiert wurden. Eine so weit reichend Anpassung innerhalb der eigenen Zivilisation durchzuführen, bedeutete aber die genetischen Grundlagen zu ändern. Damit würde aber auch die Möglichkeit einer Abspaltung real. Das hätten sich die TAARER nicht leisten können. Sie bauten lieber gleich von Anfang an ein vollkommen neues, eigenständiges Volk auf, das dann - von seinem Erzeuger genetisch unabhängig - seine Aufgaben ausführen konnte.

Es ist eine interessante These gewesen. Bei einem spontanen Besuch von Maria und mir in seinem Haus kamen dann noch einige zusätzliche Tatsachen heraus. Er saß in einem Sessel und seine Beine baumelten in der Luft, ohne Füße!

Eine körperliche Behinderung ist für mich damals etwas absolut Ungewohntes gewesen und Albert musste das gemerkt haben. Ich besaß keine Erfahrungswerte im Umgang mit dieser Situation. Er zog sich ein bereitstehendes Schuhpaar an und bewegte sich - vollkommen normal - auf uns zu. Hätte er die Schuhe schon angehabt, als wir sein Haus betraten, ich hätten nichts bemerkt. Aber wir kamen ja auch unangemeldet. Später ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich den Leuten auf die Füße schaute, als suchte ich nach dieser Behinderung. Ich fand sie nie wieder.

Es stellte sich heraus, das Albert von der /KKB /Kooperative für Kosmische Biologie ausgeliehen war, die ihren Sitz auf der kalten und ungemütlichen Insel Island hatte. Er sollte uns Reisende mit seinen Thesen auf neue Gedankenwege bringen. Als er darüber sprach, das alle seine Mitarbeiter in der /Kooperative keine Füße hätten, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, das es sich um eine bewusst herbeigeführte Behinderung handeln könnte. Aber aus welchem Grund? Körperliche Unvollkommenheit ist heute bei uns MENSCHEN etwas Ungewöhnliches. Es ist möglich, selbst abgetrennte Gliedmaße wieder nachwachsen zu lassen. Und aus den Zeugungstangs auf dem Mond kommen sowieso nur voll ausgebildete Exemplare! Ich musste mir eingestehen, das ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie eine Person mit einem körperlichen Fehler begegnet bin. In meiner Rückbauzeit hatte ich zwar alte und kranke MENSCHEN angetroffen, aber keinem hatte ein Körperteil gefehlt. Für Albert schien seine Unvollkommenheit kein Problem zu sein. Er kam ohne Umwege auf das Thema der Taarischen Biologie zusprechen.

"Was findest du so bemerkenswert an meiner These?" fragte er unbefangen.

Er sprach Maria direkt an, die meine heimliche Frage direkt an Albert gerichtet hatte ohne mir auch nur die Möglichkeit zu geben es selber zu tun. Das gab mir aber Zeit, mich von meinem Schock zu erholen und ich war Maria dafür sogar dankbar.

"Nach deiner These, Albert lassen die TAARER Experimente an ihrem eigenen Genkode nicht zu. Heißt dass, das sie perfekt sind oder das sie glauben perfekt zu sein?"

Maria war eine eifrige Frau. Sie konnte sich voll und ganz einem Thema widmen, es von allen nur denkbaren Seiten ausleuchten, um dann doch manchmal messerscharf am Ergebnis vorbei zu gleiten. Sie hatte ein eigenes Weltbild und versuchte alles andere darin zu platzieren - übrigens auch mich. Albert gab sich locker, unverkrampft und irgendwie überlegen. Ich wurde den Verdacht nicht los, das er uns ganz genau kannte und wusste, mit wem er es zu tun hatte. Mit einem milden lächeln, das man vielleicht auch hätte spöttisch nennen können und zu mir gewannt, kam eine fast belehrende Antwort.

"Soweit wir wissen, existieren die TAARER seit über 180 Dekaden. Vielleicht oder wahrscheinlich gab es in ihrer Anfangszeit einige Experimente. Die Existenz der RAHNN deutet zumindest darauf hin. Heute würde die Veränderung des Genkodes, eine Rasse dieser Größe spalten. Bis sich Veränderungen auf die gesamte Zivilisation auswirkten, könnte, bei der Lebenserwartung eines TAARERS von etwa 450 erdeJahren, vielleicht eine Dekade vergehen. Und wer sagt euch, ob alle Zeugungsstandorte mit dem gleichen Genmaterial arbeiten?"

Ich merkte gleich, das Albert einen weit tieferen Einblick in die Biologie der TAARER hatte, als er hier offenbarte. Was meinte er mit Zeugungsstandorten? Besaßen die TAARER mehrere Welten auf denen sie sich fortpflanzten? Bei uns hatte man ab 2030 alle Tangs auf dem Mond eingerichtet. Es hatte sich in der Vergangenheit wohl gezeigt, das es die beste Lösung ist. Auf der Erde musste es zu viele Fremdeinflüsse gegeben haben. Vieren, Bakterien und Strahlungen, die nicht alle vollkommen zu kontrollieren gewesen sind.

Marias Verhalten zeigte mir, das sie verletzt war. Nicht nur, das Albert sie als Person abwertete, indem er ihre Frage - mir - beantwortete, nein, auch seine Art mit Andeutungen sein Wissen zu dokumentieren, ohne all zu viel davon preiszugeben, machte sie rasend.

"Albert, du glaubst also zu wissen, das die TAARER keine Änderungen an ihren Genen mehr zulassen? Aber dann steht ihre Zivilisation still."

Eigentlich hatte Maria die Diskussion innerlich schon längst abgebrochen das merkte ich sofort und nur, weil sie nicht alleine war, gab sie Albert noch einmal die Gelegenheit, mit seinem Wissen zu protzen. Sie wollte eigentlich nur noch einen schnellen Abschluss.

"So kann man es auch sehen" antwortete Albert, wieder zu mir gewandt. "Aber wenn man bedenkt, das dieser Stillstand seit über 100.000 erdeJahre andauert, kann man eigentlich nicht von einem Rückschritt in der Entwicklung dieser Zivilisation sprechen. Sie werden auch in weiteren 100.000 erdeJahren an der gleichen Stelle stehen, entwicklungstechnisch meine ich."

Ich wurde hellhörig. "Warum bis du dir da so sicher?" fragte ich spontan. Meine Ahnungen schienen sich zu bestätigen. Albert wusste mehr über die Zivilisation der TAARER als allgemein gelehrt wurde.

"Uns liegen Unterlagen vor, aus denen eindeutig hervor geht, das alle TAARER nach einer einzigen Genschablone gezeugt werden" Albert dozierte kalt. "Wobei ich mit `zeugen` natürlich nicht unsere Art der Fortpflanzung meine. Obwohl die TAARER gar nicht so fremdartig aussehen - wenn man einmal von ihren Gesichtszügen absieht - ist ihr biologischer Aufbau mit dem unseren absolut nicht vergleichbar. TAARER sind geschlechtslose Wesen. Es hat in ihrer Geschichte nie eine `natürliche` Fortpflanzung in unserem Sinne gegeben. Sie benutzen ein technisches Verfahren der Vervielfältigung und das auf 199 so genannten Reprowelten."

"Halt, halt Albert. Alles, was du da erzählst, hört sich so an, als seien die TAARER eine künstliche Zivilisation!" Ich war erschrocken. "Alle deine Andeutungen lassen nur diesen einen Schluss zu."

Ich war wirklich erschrocken und mein Weltbild bergan zu wanken. Sollten die TAARER wirklich künstlich geschaffen worden sein? Von wem und warum? Sie: unsere Förderer, die größte und mächtigste Zivilisation in GAON, künstlich?

"Es währe allerdings eine Erklärung für den Aufbau der GAON KORMA" dachte ich laut. So schnell konnte ich damals neue Erkenntnisse in mein Weltbild einbauen. "Die TAARER sind das militärische und wirtschaftliche Rückgrat dieser Organisation." Ich wusste aus meinem kosmischen Semester auf der Insel Kuba, das etwa 60 % der bekannten militärischen und wirtschaftlichen Macht in GAON von der Zivilisation der TAARER getragen wurde. Alle anderen 277, besser 278 Völker, teilten sich die restlichen 40 %. Ohne die TAARER läuft in der GAON KORMA nichts, das war mir schon lange klar. Eine solche Konzentration der Macht konnte eigentlich von keinem gewollt herbeigeführt worden sein, oder doch?

"Eine Zivilisation ohne Machtanspruch, vielleicht sogar ferngesteuert, sozusagen neutral, könnte als Bedrohung herhalten. Aber nein, so kann es nicht sein, Albert!" Ich war erschrocken über meinen kühnen Gedankengang. "Die TAARER haben in der Vergangenheit deutlich gezeigt, das sie durchaus auch eigene Machtpolitik betreiben können."

"Ja, das haben sie" sagte Albert mit einer ruhigen Stimme. "Aber ich glaube Bo, du musst noch weiter denken. Wie wäre es, wenn sich die TAARER erst einmal Gehör verschaffen mussten? Wer nimmt schon eine fernsteuerbare Zivilisation ernst? Und dass werden sie heute."

Wir hätten noch stundenlang über die TAARER diskutieren können, wenn Maria nicht abrupt das Thema gewechselt hätte und Albert auf seine nicht vorhandenen Füße ansprach. Er schien verwirrt und antwortete ausweichend und undeutlich. Maria hatte sich gerächt. Ich hatte auch genug mit seinen Thesen zutun. Zugegebenermaßen ist mein Glaube an die TAARER in diesem Moment doch ziemlich erschüttert worden. Künstlich und ferngesteuert? Es half nichts, ich musste es selbst herausfinden.

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Anfang Oktober des erdeJahres 0/2152 ist es dann soweit gewesen. In einem feierlichen Akt, auf der Wüstenwelt DAGOR, ca. 11.000 lichtJahre von der ERDE entfernt, sind wir mit der Bezeichnung MENSCHEN als 279. Mitglied in die Kosmische Zeitmaß Organisation GAON KORMA aufgenommen worden. Über /INFOSPEICHER konnten alle 8 Millionen MENSCHEN daran teilnehmen. Die letzte Feierlichkeit dieser Art innerhalb der GAON KORMA mussten vor 600 GKZe stattgefunden haben, also vor über 900 erdeJahren. So weit reichten meine Geschichtskenntnisse nicht zurück.

Natürlich ist dieser Akt von unserem :Sicherheitsrat: von langer Hand vorbereitet worden. Wenn man bedenkt, das der erste Kontakt mit den TAARERN erst vor etwa 130 erdeJahren erfolgte, hatte es doch nur eine kurze Zeitspanne gebraucht, bis wir von den anderen Mitgliedern der GAON KORMA als ebenbürtig anerkannt worden sind. In diesen 130 erdeJahren hatte sich vieles verändert. Es mussten in der Vergangenheit auf der Erde viele Einzelsysteme existiert haben - politische Gebilde, die nur ein flächenmäßiges Aussehen hatten. Gezeugt wurde damals spontan und unkontrolliert, ohne Plan, Sinn- und zwecklos. Es sollen einmal fast 7 Milliarden Einwohner auf der ERDE gelebt haben. Heute kaum noch vorstellbar. Wie so viele Personen ernährt werden konnten, ist mir heute noch unklar aber mit ihren Hinterlassenschaften hatte die /KRB /Kooperative für Rückbau noch immer zutun. Auch ich hatte vor meinem `Kosmischen Semester` meine 10 rückbauMonate abgeleistet. Wirkliche MENSCHEN im kosmischen Sinn sind wir aber erst mit unserem Beitritt zur GAON KORMA geworden.

Der erste Kontakt zu den TAARERN ist dann prägend für uns MENSCHEN gewesen und ist es noch heute. Sie sind unsere Förderer. Meine erste Reise sollte natürlich auch zu ihnen gehen. Aus alter Freundschaft, so hieß es damals.

Mit dem Beitritt der MENSCHEN zur GAON KORMA änderte sich auch unser Zeitmesssystem. Unser :Sicherheitsrat: hatte sich dazu entschlossen, dass angefangene Jahr 2152 nachträglich als "0" zu werten. Eigentlich hatten sie den Jahreswechsel als offiziellen Beitrittstermin bestimmen wollen. Aber wir MENSCHEN mussten lernen, das es nicht mehr nur nach unseren Wünschen ging. Den Beitrittstermin hatte die GAON KORMA festgelegt. Die Organisation befand sich zu diesem Zeitpunkt in der so genannten Offenzeit - vergleichbar mit unserer Generalversammlung - in der alle Mitglieder der Organisation auf der Hauptversammlungswelt, dem kalten Wüstenplanet DAGOR anwesend sind. Dieser Zustand trat wohl auch nur alle 100 GAON KORMA Zeiteinheiten -GKZe- ein, was genau 153 erdeJahre entsprach. Wir mussten uns an neue Maßstäbe gewöhnen.

Es galt zwar weiter unsere physikalische Eigenzeit, aber alle Zeitangaben, die die GAON KORMA betrafen, sollten in Zukunft auf DAGOR bestimmt werden. Eigentlich existierte die Organisation - sichtbar - nur auf dieser einen Welt. Alle ihre Funktionen führten ansonsten bestimmte Mitgliedsvölker aus. Die TAARER sind für die militärische Sicherheit in GAON verantwortlich. Die OROREN traten als Verwaltung auf und die IROITEN als Planer von gesamt galaktischen Strukturen. Es gab noch viele andere Zivilisationen die Funktionen der Organisation ausübten. Auch wir MENSCHEN werden irgendwann einmal eine ihrer Funktion übernehmen. Zum Zeitpunkt unseres Beitritts aber hatten wir noch nichts zu bieten.

Eine der wichtigsten Funktionen innerhalb der Organisation, die der Finanziellen Bewertungshoheit für alle Mitglieder, hatten die Humanoiden SULANER inne. Sie bestimmten den Wert des ~DES~, keine Währung im eigentlichen Sinn, sondern mehr die Zusammenfassung von ideellen, moralischen, materiellen und persönlichen Wertvorstellungen bezogen auf eine Einzelperson. Eine /Kooperative oder eine andere Organisationsform konnte niemals mit ~DES~ bewertet werden und sind deshalb als ganzes buchstäblich "wertlos". Benannt ist diese Einheit nach dem Planeten DE SEOLATA im FONERCA System. Ich erwähne diese Allgemeinheiten nur, damit ihr besser einschätzen könnt, wie ich mich fühlte, als mir Gus eine Karte überreichte, die einen Wert von 10 ~DES~ repräsentierte. Dass sollte mein Reisekapital sein.

Natürlich ist mir damals sofort klar gewesen, das ich nicht wirklich diesen Wert darstellte. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt gab es auf der ganzen ERDE keine Person, die auch nur einen einzigen ~DES~ wirklich wert war. Trotzdem fühlte ich mich `wichtig`, herausgehoben vor allen anderen 8 Millionen MENSCHEN, der: der 10 ~DES~ hatte. Einem Reisenden eine so hohe Bewertung mitzugeben, erschien mir damals weit übertrieben. Heute weiß ich natürlich, warum mich die /KKK so gut ausgestattet hatte.

In der Geschichte der GAON KORMA hatte es sich gezeigt, dass es jedem neuen Mitglied schwerer fiel, die Realitäten innerhalb der Organisation zu begreifen. So gaben die OROREN vor 45 Dekaden das Projekt der ~DES~ Reisen in Auftrag. Jedes Mitglied sollte Reisende entsenden. Keine Politiker oder Händler, nein Reisende, die sich möglichst unvoreingenommen und ohne ökonomische oder politische Ziele, andere Zivilisationen ansehen und somit kennen lernen sollte. Ein wichtiger Teil innerhalb des Projektes sind die Berichte, die von den Reisenden zum Abschluss erstellt werden sollten. Um den Status eines Reisenden zu heben und seine Erfahrungen für die gesamte Organisation nutzbar zu machen, wurden und werden auch heute noch alle Berichte  über KOSMIC-LINK, dem GAON KORMA Nachrichtendienst, galaxisweit veröffentlicht. Sie stehen somit allen Mitglieder der GAON KORMA für eine Auswertung - uneingeschränkt - zur Verfügung, egal ob die einzelnen Berichte nun gute oder schlechte Botschaften enthielten. Sogar die OROREN und die TAARER tauschen heute noch Reisende aus und halten sich weitgehend an diese Berichtsfreiheit. Ihre unzensierte Veröffentlichung hatte in der Vergangenheit schon zu so manchen Auseinandersetzungen geführt. Es entstanden aber auch einige innige Freundschaften. Und heute ist mir klar, dass diese Berichte mit dazu beitragen, eine Organisation wie die GAON KORMA überhaupt erst zu ermöglichen.

Um dem Reisenden ökonomische Einschränkungen zu ersparen - nicht jede Zivilisation hatte die Mittel, sie aus eigener Tasche zu bezahlen - statteten die SULANER sie mit einer ~DES~ Bewertung aus, die natürlich nicht unbedingt dem tatsächlichen Wert der jeweiligen Person entsprach. Sie sollte dem Reisenden die Privilegien verschaffen, die er durch offizielle Freibriefe, Passierschein oder regionale Bewertungen nie errungen hätte. Ich habe übrigens auf meinen Reisen nur wenige Personen getroffen, die eine echte ~DES~ Bewertung besaßen. Die ERZEUGERIN der Insektoiden DREOONI ist die einzige mir bekannte Person, die wirklich eine offizielle Bewertung von 4 ~DES~ besitzt. Selbst einige sehr reiche IROITEN, die mir auf meinen Reisen begegnet sind, besaßen nicht einmal den Wert von einem ~DES~.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, das der ~DES~ Wert für Reisende im Laufe der Dekaden angehoben wurde. Es ist einfach teurer 278 Zivilisationen kennen zu lernen, als wenn es derer nur vier gäbe.

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Ich verstand nicht, was mein Ausbilder mir sagen wollte!

In einem feierlichen Akt in einem Saal der /KKK in Neuyork, sind uns die Dokumente für unsere Reise zu den TAARERN übergeben worden. Anwesend sind damals die Vertreter der /KKK, und natürlich meine Bezugsperson von der /KEB - Emo Gallo, alle anderen Kursteilnehmer, der Generalsekretär unseres :Sicherheitsrats:, Lite Riukin /KFZ /D3, eine menge fremder Personen ohne Zuordnung und unser Ausbilder Gus Niegen /KKK /D1 gewesen. Irgend wie lag eine besondere Stimmung in der Luft. Alle gaben sich feierlich - ja geradezu verzückt, als Gus über die Reise an sich sprach. Die Möglichkeit, Ideen und Technologien zu sammeln, irgend etwas mit Berufung und Wille zur Erneuerung. Ich hatte nicht gewusst, das er solche Überbewertungen aussprechen konnte. In unserer gemeinsamen Zeit ist er es immer gewesen, der mich wieder auf das wesentliche gestoßen hatte.

Und jetzt diese Überhöhungen.

Ich rettete mich in die Erkenntnis, das er es zum Generalsekretär und zu den fremden Personen ohne Zuordnung sagte, wir Reisende konnten nicht gemeint sein. Und eigentlich bin ich damals schon gar nicht mehr da gewesen. Ich hatte mich längst in die Bereiche des Kosmos verflüchtigt, die mir neu und fremd und spannend erschienen. Endlich hinein ins Universum! All die Jahre hatte ich darauf gewartet. Immer, wenn ich ein Ereignis bewerten musste, hatte ich versuch das vom Standpunkt eines Außerirdischen zutun, kalt, ohne innere Stellungnahme. Eigene gewohnte Vorstellungen - soweit vorhanden - hatte ich dann weit von mir geschoben. Ich habe mich manchmal selbst als kosmischen Fremdkörper gesehen. Klar - das kein Platz für private Beziehungen blieb. Immer wieder, an irgend einem Punkt - manchmal vollkommen unpassend - ertappte ich mich dabei, neben mir selbst zu stehen. In den intimsten Situationen tauchte ich plötzlich neben mir auf. So ist es nur natürlich gewesen, das ich in bestimmten Kreisen als Versager galt. Diese Einstufungen hatten mich seltsamer weise nie belastet. Ich hatte davon gehört und wollte es bewerten können - nächstes Thema.

Emo Gallo /KEB /D1 verließ seinen Sitzplatz und kam auf mich zu. Ich muss ziemlich abwesend ausgesehen haben und stand hastig auf. Wir schüttelten uns die Hand.

"Hallo junger Mann, kennen wir uns nicht ?" flüsterte er mir zu. Und wie so viele male in der Vergangenheit, fühlte ich mich wieder von ihm ertappt. Die anwesenden Personen applaudierten und Lite Riukin /KFZ /D3 - ein dunkelhäutiger, großer und schlanker Mann - kam auf mich zu und schüttelte meine Hand.

"Wir alle erhoffen uns von ihren Reisen viel." Er sprach zu allen Reisenden und schaute mich nicht einmal an.

"Sie sind die Personen die uns den Weg ebnen. Ich wünsche ihnen viel Erfolg und enttäuschen sie uns nicht"

Schlagartig befand ich mich in der Realität eines Saales der /KKK /Kooperative für Kosmische Kontakte in Neuyork. Die erwarten etwas von mir. Eigentlich hatte ich diese Reisen als persönliche Bereicherung, als Befriedung meiner Neugier angesehen. Dieser eine Satz riss mich in die Realität zurück.

Natürlich, die erwarten etwas von mir!

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